„Nie wieder Krieg“
Ein beeindruckender Abend
Es war voll in der Aula der Marienschule in Euskirchen. Zur Veranstaltung hatte Michael Mombauer (Schulleiter), eingeladen, welcher auch mit der Lesung „Adressat Unbekannt“ immer wieder Auftritt und auch schon bei uns in Uedelhoven diese Lesung vorgetragen hat.
Als Gast an diesem Abend trat Esther Bejarano zusammen mit der MICROPHONE MAFIA auf. Als Esther unter viel Applaus die Bühne mit Unterstützung betrat, sahen wir eine kleine, zierliche Frau, deren Alter man ihr nicht gleich ansah, sondern nur erahnen konnte. Sie setzte sich an einen Tisch und begann aus ihrem Buch „Erinnerungen“ vorzulesen.
„Wir fahren Richtung Polen“.
Ihre Geschichte begann an dem Punkt, als sie in einem Viehwagen auf einem der vielen Transporte Richtung Auschwitz war. Ihre Stimme war ganz ruhig uns sachlich, als Sie uns dies vorlas. Ab und an hielt sie aber inne und las dann weiter vor.
Mit im Waggon war ein Mann, der gleich erkannte „Wir fahren Richtung Polen“.
Als man das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz Birkenau erreichte, war den Menschen dieses Transportes und sicher auch vieler weiterer Transporte, die vorher und nachher dort ankamen nicht klar, wo sie da gelandet waren. Das Wissen, welches wir heute zu Auschwitz haben, hatten diese Menschen damals ‚noch‘ nicht. Allenfalls Gerüchte welche durch die Reihen gingen. Es war der 20. April 1943 als man an der Rampe in Auschwitz aus dem Waggon stiegt. Schon während der Fahrt hatte es aus Erschöpfung Tote gegeben. Insbesondere alte und schwache Menschen. So musste man, um aus dem Waggon zu kommen, über diese Toten steigen.
Die Menschen wurden zuerst fast schon freundlich empfangen. Häftlinge, die für Vorabeiter gehalten wurden, nahmen die Menschen in Empfang. So entstand schnell der Glaube, man wäre in einem Arbeitslager gelandet. Dem war nicht so. Nach der Selektion an der Rampe wurden Frauen mit Kindern, Schwangere, Frauen ab 45 Jahren, Kinder, ältere, schwache und kranke Menschen zu LKW’s begleitet. Die Motoren liefen schon. Der Vorwand war, der Weg ins Lager wäre weit. Die LKW’s mit diesen Menschen fuhren gleich „ins Gas“…
„Jetzt zeigen wir den Sau-Juden mal, wie man richtig arbeitet!“
Esther kam zu der Gruppe, die vom Lagerarzt Mengele als Arbeitstauglich eingestuft wurde. Zur Begrüßung am Tor und Eingang zum Lager riefen die SS Aufseher: „So, jetzt zeigen wir euch Sau-Juden mal, wie man richtig arbeitet!“ So begab man sich zu Fuß zur sogenannten „Sauna“. Die Sauna diente dazu, den Menschen nicht nur ihr letztes Hab und Gut zu berauben, sondern ihnen jegliche Identität zu nehmen. Ab jetzt war man nur noch eine Nummer, welche mal eintätowiert auf dem Arm bei sich trug. Esther bekam die Nummer 41948. Die neuen Gefangenen mussten sich nackt ausziehen und unter dem Anblick der SS Aufseher eine kalte Dusche nehmen. Zuvor wurden ihnen noch im nackten Zustand das Haar geschnitten und sämtliche Kleidung abgenommen. Danach wurde man in einen Raum geführt, welcher zur Desinfektion diente. Dort blieb man so lange zur Desinfektion drin, bis man fast erstickte. Danach ging es in neuer Sträflingskleidung, die nicht mehr als gestreifte Lumpen waren, in das Lager.
Im Lager selber wurde man zur Arbeit eingeteilt. Jeden Morgen ging es außerhalb des Lagers zu einer völlig sinnfreien Arbeit, die daraus bestand, große und schwere Steine von einem Platz zu einem anderen zu tragen. Viele Menschen konnten diese Arbeit kaum verrichten und wurden von den SS Männern mit Peitschen geschlagen. Zu Essen gab es ein Laib Brot pro Woche sowie eine Suppe, welche aber nur wegen ihrer wärme als Suppe bezeichnet wurde. Diese Braune, mit Brennnesseln oder sonstigen ungenießbaren Kräutern und Kartoffelschalen angereicherte Brühe, wurde vom KZ-Personal als „Tee“ bezeichnet.
Es war ganz still in der Aula, als Esther uns weiter vorlas. Als sie davon berichtete, wie sie per Zufall und auch mit einer Portion Glück ins Mädchenorchester Auschwitz kam. Da sie auch gut singen konnte und das Lied Bel Ami kannte und vortragen konnte, wurde sie für das Orchester ausgewählt. Ebenso berichtete sie davon, als in einem Transport aus Griechenland ebenfalls eine junge Frau dabei war, die doch viel besser Akkordeon spielen konnte als sie. Hatte Esther doch vor der Zeit in Auschwitz nie auf diesem Instrument gespielt. Zudem gab es auch nur ein Akkordeon im Orchester. Zum Glück konnte sie auch Flöte spielen und somit im Orchester bleiben.
Ca. ein halbes Jahr später konnte sie sich als Viertel-Arierin für einen Transport ins Lager Ravensbrück melden. Sie wurde ausgewählt und dorthin transportiert. Später sollte sie dort für die Firma Siemens arbeiten und wurde gegen Ende des Krieges auf einen der vielen Todesmärsche geschickt.
Esther hatte Glück und das nötige Durchhaltevermögen und überlebte diesen furchtbaren Horror aus Vertreibung, Verachtung, Entrechtung, Hass und letzten Endes Mord.
Heute engagiert Sie sich u.a. im Internationalen Auschwitz-Komitee, verfasst Bücher und tritt u.a. mit der Microphone Mafia auf.
„Wir leben jetzt“
Als Esther mit ihrer Lesung endete merkte man, wie bedrückt die Menschen in der Aula alle waren. Es war sehr ergreifend von einem Menschen das zu erfahren, was wir alle schon aus dem TV, Büchern, der Schule und dem Internet zu genüge zu kennen scheinen. Von diesen schrecklichen Taten, dem Morden und dem Holocaust von einem Zeitzeugen wie ihr zu hören, macht aber mehr als sprachlos. Insbesondere auch dann, wenn es aktuell Menschen gibt, die zum Teil auch in der Politik aktiv sind, welche den Holocaust als „Fliegenschiss der deutschen Geschichte“ abtun oder diesen auch in Gänze Leugnen und als nie geschehen aburteilen.
In diesem Moment der Stille setzte Kutlu Yurtseven von der Microphone Mafia ein und richtete den Blick nach vorne. Zusammen mit Esther und Esthers Sohn Jorem spielte das Trio nun in bester Rap-Manier sozialkritische Lieder. Unter dem Motto, „Wir leben jetzt“ und „Nie wieder Krieg“ entstand so eine positive und heitere Stimme. Kutlu rief immer wieder dazu auf, den Mund aufzumachen und nicht wegzusehen. Er berichtete vom Leben als Kind mit Migrationshintergrund. Die Eltern als „Gastarbeiter“ nach Deutschland gekommen, obwohl Gäste doch eigentlich nicht arbeiten. Ebenso berichtete er von den Anschlägen, welche in den 90er Jahren immer wieder auf Flüchtlingsheime verübt wurden. Besonders Kutlus Worte waren aktueller denn je und zeigten uns wie sehr die Geschichte von Esther mit unserer heutigen Zeit im Zusammenhang steht. Freiheit und Demokratie sind nicht selbstverständlich. Wir müssen dafür täglich aufs Neue arbeiten.
Nach mehr als 2 Stunden endeten das Konzert und die Lesung mit dem Lied Bel Ami. Esther wies darauf hin, dass genau dieses Lied damals ihr Leben gerettet hätte. Trotz der schon späten Stunde stellte sich Esther noch für Widmungen in ihrem Buch zur Verfügung. Alles in allem können wir sagen, es war ein sehr beeindruckender Abend.